Liebes Tigi

Vor ungefähr eineinhalb Jahren wurde ich wie schon so oft angefragt, ob wir Dir hier bei uns im Tierheim Gals eine Chance geben würden. Ansonsten müsste man Dich einschläfern. Du seiest ein aussichtsloser Fall und hättest keine grosse Lebenserwartung. Als unerwünschte, kranke, wilde Bauernhofkatze schien Dir das Schicksal nicht besonders günstig gesinnt…

So tratest Du in mein Leben, warst gestrandet, um vielleicht bald schon zu sterben…

Aber vorerst wollte ich nichts unterlassen, damit Du leben durftest! Auch Du solltest noch etwas anderes als ein Dasein in Angst, Not, und Hunger kennen lernen dürfen!

Als ob Du spürtest, dass Dir ein besserer Lebensabschnitt zustehen sollte, belohntest Du unsere Bemühungen um Deine Gesundheit mit zunehmender Genesung. Als ich Dir zum ersten Mal übers Fell streicheln durfte, wusste ich, dass mit die „Wildkatze“ vergeben hatte, war es doch in Deinem Fall vorwiegend meine Aufgabe gewesen, Dich medizinisch zu versorgen.

Du hast Dein Leben dann vollumfänglich ausgekostet, Tigi! Besuchern hast Du zwar nie vertraut; Du hast sie immer aus Distanz mit wachsamen Blicken gewürdigt.

Einem Ritual gleich war unsere allabendliche Begegnung in unserer Wohnung, wo Du Dir Deinen Schlafplatz ausgesucht hattest. Keiner konnte sich wohliger auf der Decke wälzen als Du! Keiner konnte nacheinander mit so vielen Stupsern ein endloses Spiel in Gang bringen! Deine Liebesbezeugungen kannten keine Grenzen! Dein Glück war vollkommen – und das meinige auch!

Jetzt bist Du nicht mehr. Deine Kraftreserven haben genau so lang ausgereicht, bis Du in der Lage warst, dem Leben auch die Sonnenseiten in allen möglichen Varianten abzugewinnen!

Nach erneutem Ausbruch Deiner Krankheit haben wir beide zwar nochmals gemeinsam gekämpft, denn Dein Lebenswille war noch ungebrochen. Als beispielhaft geduldiger, äusserst liebevoller Patient liessest Du in absolutem Vertrauen alles mit Dir geschehen. Nach der erlösenden Einschlafspritze bist Du in meinen Armen friedlich schnurrend eingeschlummert. Du hast das Leben in allen Schattierungen kennen gelernt. Hineingeboren in diese jammervolle Welt, geprägt und gezeichnet von Krankheit, Leiden und Entbehrungen, wurdest Du gejagt und verfolgt – bis sich unsere Wege kreuzten. Bei uns erwartete Dich der zweite Teil des Schauspiels, das wir Leben nennen, in dem wir alle eine Rolle zu spielen haben, Du und ich und alles, was leibt und lebt. Wir hatten es gut zusammen, Tigi! Abschied ist immer schmerzlich. Du fehlst mir sehr, und ich vermisse unsere allabendliche Begegnung, die sich zu einer innigen, gemeinsamen, Verständigung entwickelt hatte. Der Gedanke an die gute, glückliche Zeit, in der Lebensfreude Dein Dasein bestimmte, wirkt tröstlich und dämpft die aufkommende Verzweiflung.

Du warst eine von unzähligen, unerwünschten, dem Tod geweihten Katzen, die jedes Jahr zur Welt kommen. Du aber durftest vor dem Sterben leben!!

Die Dauer des Daseins ist nicht relevant; von wesentlicher Bedeutung jedoch ist die Art, die Beschaffenheit, die Qualität des Lebens und wie Du es als solches empfunden hast und ausschöpfen konntest. So gesehen hast Du Dein Ziel zweifellos erreicht.

Dass auch Du vom Elend zur Lebensfreude hast finden dürfen, verdanken wir beide nicht zuletzt all unseren Spendern und Gönnern, die am Geschick unseres Heims mittragen helfen.

Tigi hinterlässt Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, einem Pfand gleich seine grenzenlose Freude am Leben, sein beruhigendes, Trost bringendes Schnurren, seine zärtliche Liebe und Zuneigung und seine uneingeschränkte Zufriedenheit. Für das Besondere, Einmalige, das Tigi (für mich) verkörpert hat, fehlen mir nach wie vor die Worte. Betrachten wir es als Geschenk an uns, als stillen Dank für das Leben, das er bei uns verbringen durfte.

Mina Schreyer, April 2000

Tigi

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